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Ein Fahrschüler zur neu gegründeten
"Oberschule für Jungen"
in den Jahren 1943 - 1945
Da in den letzten Kriegsjahren noch keine Busverbindungen von Braunschweig über Engelnstedt nach Lebenstedt bestanden, mussten wir Schüler aus Engelnstedt entweder zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule im alten Dorf Lebenstedt fahren. Unsere beiden Mitschülerinnen Paula Bartels und Inge Meier gingen meistens zu Fuß.
Im Krieg ein Fahrrad zu kaufen, war so gut wie unmöglich. So hatte mein Vater großes Glück, als Frau Poeschel aus Lebenstedt uns ein "Gebrauchtes" von ihrem im Krieg vermissten oder gefallenen Sohn zur Verfügung stellte (wahrscheinlich durch Tausch mit etwas Essbarem vom Bauernhof).
Poeschels waren erst kürzlich aus Sachsen (Leipzig?) mit ihrer Tochter nach Lebenstedt gekommen und eröffneten in dem im Aufbau befindlichen Abschnitt IV eine Buchhandlung Ecke Schlehenweg - am Brinke. Dort erstanden wir, falls vorhanden oder zu besorgen, Hefte, Schreibutensilien und Schulbücher. Die Familie war eine der ersten Kunden, denen mein Vater Einkellerungskartoffeln in den Keller brachte.
Immer bei uns haben mussten wir eine Umhängetasche mit der Volksgasmaske, einen Mundschutz mit vier Bändern und eine zusammenfaltbare Schutzbrille. Die Umhängetasche fertigte uns unser Sattlermeister Meyer aus grünem Segeltuch und einem langen verstellbaren Ledergurt zum Umhängen.
Die Bereifung meines Fahrrades war nicht mehr die Beste. Ersatz war nicht zu beschaffen.
So wurde improvisiert: Gut sichtbare kleine Risse in der Decke reparierte unser Sattler durch Einnähen eines kleinen Lederflickens. Größere Risse in der Decke konnte ich beseitigen, indem ich ein Stück (15 - 20 cm) aus einer anderen Decke herausschnitt, über die defekte Stelle legte und in den Wülsten der Felge einrasten ließ. Dieses ging natürlich nur dann, wenn es sich um die damals weit verbreitete Wulstbereifung handelte. Heute ist es die Drahtbereifung.
Man hatte beim Fahren zwar 2 kleine Absätze auf der Lauffläche des Reifens, die bei jeder Umdrehung wupp - wupp machten, aber das Fahrrad konnte benutzt werden.
Die Vorderrad-Handbremse wurde dadurch unbrauchbar gemacht, dass sie am Lenker angebunden wurde. Die Bremse wirkte von oben auf die Lauffläche und hätte sich bei Betätigung an dem übergelegten Flicken verhakt und es wäre zu einem folgenschweren Unfall mit Überschlag gekommen.
So wurde diese schwierige und knappe Kriegszeit für uns Fahrschüler durch kleine Tricks und Manipulationen an den Fahrrädern doch einigermaßen bewältigt und wir brauchten nicht zu Fuß laufen.
Eigene Aufzeichnung von Ortsheimatpfleger Heinrich Hagemann 2005
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